Der Leimbach

Er sancte in da ze Loche allen in den Rin, diese geheimnisvolle Strophe aus dem Nibelungenlied hat schon so manchen Forscher beschäftigt. Was meint der Verfasser der Nibelungenhandschrift B mit Loche? Warum wird das Wort nur in der Handschrift B großgeschrieben und in den anderen Handschriften A und C klein. Eine von mehreren Theorien lautet: Gemeint ist die ausgegangene Ortschaft Lochheim am Leimbach. Direkt bei Sandhausen fließt der heute noch existierende, im Jahre 767 erstmals als Swarzaha (althochdeutsch "Schwarzwasser") im Lorscher Kodex genannte Leimbach vorbei. Zunächst als Angelbach bezeichnet, bürgerte sich erst im 18. Jahrhundert der noch heute verwendete Name Leimbach ein. Die Quelle des Leimbachs liegt im Kraichgau in der Nähe von Sinsheim, genauer bei Balzfeld in der Gemeinde Dielheim. Von hier fließt der Bach in der heutigen Zeit zunächst in westnordwestlicher Richtung Wiesloch. Von dort dann Richtung Walldorf, weiter durch Nußloch und St. Ilgen, um dann hinter Sandhausen nach Westen abzubiegen, vorbei an Bruchhausen und weiter nach Oftersheim. Dann wechselt er Richtung Nordwesten, fließt bei Schwetzingen am Schwetzinger Schloss vorbei, dann weiter westlich um die Stadt Brühl herum und mündet schließlich gegenüber der Brühler Kollerinsel in den Rhein. Durch Bodenuntersuchungen (Torf, Schwemmlöß) ließ sich der Verlauf des Leimbachs und damit des Ostrheins auch bei Sandhausen ziemlich genau bestimmen. Torf und Schwemmlöß lassen sich in einer fast 100 m breiten, vollkommen eingeebneten Rinnenfüllung am Ostrand des großen Dünenwalles entlang durch das Gewann See über die große Lachstraße hinweg bis zur Festhalle in Sandhausen sicher nachweisen.

Der Löß wurde im Einzugsbereich des Leimbachs im Kraichgau abgespült und entlang der flachen Gefällabschnitte des Leimbachs wieder abgelagert. Dieser Schwemmlöß hat eine Dicke von 22,5 m. In 2,2 m Tiefe gefundene Holzkohlestückchen ergaben ein Alter von ca. 965 Jahren, reichen also bis in die Zeit des Burgunderreiches am Rhein zurück. Man kann letztendlich darüber spekulieren, ob auch das Flusssystem Leimbach im Raum Wiesloch/Sandhausen zur Römerzeit noch beschiffbar war, zumindest aber ist dies zu vermuten in Zeiten von Hochwasser, z.B. im Frühjahr bei Schneeschmelze und durch Regenabflüsse im Mittelgebirge (Schwarzwald, Vogesen, im Einzugsgebiet des Rheins) und auch im Sommer aus der Schneeschmelze im Hochgebirge (Alpen im Einzugsgebiet des Rheins). Bei lang anhaltendem Starkregen steigt der Wasserstand des Leimbachs auch heute noch an. Der normalerweise ruhig in seinem Bett fließende Bach kann sich dann in einen reißenden Strom verwandeln. Der Leimbach floss ursprünglich teilweise im Bett eines früheren Flusses, dem Seebach, welcher in Richtung Walldorf und Sandhausen floss. Zwischen Wiesloch, Walldorf und Sandhausen deuten Bodenuntersuchungen auch darauf hin, dass es hier im Mittelalter eines ca. ein Quadratkilometer großen See gegeben haben soll, vermutlich ein Übrigbleibsel des alten Ostrheins. Der See erstreckte sich von Walldorf bis ungefähr in den Bereich des Gewanns See im Süden von Sandhausen. Dieser sog. Leimbachsee, in dem der Seebach seinen Anfang nahm, bestand schon zu Zeiten der Burgunder und wurde durch Umleitung und Hochdämmung des damals in den See mündenden Leimbachs trockengelegt. Vermutlich lassen sich die Namen Gewann See, Seeweg und Seestraße noch auf diesen See zurückführen, vielleicht aber auch auf den Seebach direkt. Der Seebach durchfloss die mittelalterliche Ortslage von Sandhausen. Am nördlichen Ende von Sandhausen floss der Seebach in nordwestlicher Richtung weiter und erreichte schließlich die heutige, teilweise einige hundert Meter breite Leimbachaue um dort wieder dem heutigen Leimbachbett folgend in den Rhein floss. Eine erste urkundliche Erwähnung des Leimbachs erfolgte unter der Bezeichnung Seebach im 15. Jahrhundert in den Jahren 1460 und 1476 im Kontext eines Geländetauschs im Lochheimer Feld, also in der Nähe der Wüstung Lochheim. Auf Luftbildern ist zu erkennen, dass die Wüstung Lochheim in ihrem nördlichen Teil im ehemaligen Auenbereich des mittelalterlichen Leimbachs angelegt wurde und damit zumindest stellenweise einer Auendynamik ausgesetzt gewesen sein dürfte.  Mit Flussaue ist die vom wechselnden Hoch- und Niedrigwasser geprägte Niederung entlang eines Baches oder Flusses gemeint. Das bestätigen auch Luftbilder, auf denen die Überreste einer Niederungsburg mit mehreren Wassergräben identifiziert werden konnte. Da Niederungsburgen nicht den Verteidigungsvorteil einer natürlichen Höhenlage haben, wurden bevorzugt andere gut zu verteidigende Bauorte gewählt, wie beispielsweise Fluss- oder Sumpfland.


Archäologische Grabungen weisen aber auf ein bedeutend höheres Alter des Leimbachs hin. In Sandhausen wurde im Bachbett Keramik aus dem 8. bis 10. Jahrhundert gefunden und in Walldorf noch ältere römische Keramik aus dem 2. Jh. n. Chr. In Walldorf fand sich an der zu sedimentierten Bachsohle römische Keramik des 2. Jh. n. Chr. Deshalb ist diesem Bach zumindest ein spätrömisches Alter zuzuweisen. Von einem weiteren untersuchten Bachbett am Ostrand von Walldorf liegen hydrologische Daten vor, die fast die gesamte Nacheiszeit hin zur Jungsteinzeit umfassen. So muss der Leimbach in früherer Zeit bis zum Mittelalter viel weiter im Westen verlaufen sein als heute. Der Teil des früheren Verlaufes durch Sandhausen war bis zum frühen Mittelalter nachweislich auch noch Wasser führend, da dort noch eine im 14. Jahrhundert erbaute Brücke über den Bach führte und sich urkundliche Erwähnungen bis ins frühe 19. Jh. finden. Einen weiteren Hinweis liefert eine ehemalige Wasserburg, die um 1262 existiert hatte, von der jedoch keine Reste mehr erhalten sind. Bei Grabungen gegen Ende des vorigen Jahrhunderts im Burggewann bei Sandhausen stieß man auf einen Sockelquader, d.h. einen quadratischen Unterbau aus Sandsteinen, der vielleicht eine Säule getragen haben könnte, vermutlich aber als Fundament für einen Wachturm eines römischen Kastells oder Burgus diente. Diese Wachtürme hatten drei Stockwerke und in der Regel eine quadratische Grundfläche von etwa 5 m2. Der Raum im ersten Stockwerk diente dem Aufenthalt der Soldaten und war nur über eine Leite zu erreichen. Im obersten Stockwerk befand sich eine überdachte Wachstube. Um diese führte in der Regel ein hölzerner Umgang um die Umgebung beobachten zu können. Die Wachtürme waren im Normalfall mit 4 bis 5 Mann besetzt. Auf dem rechten Rheinufer gab es an der Einmündung der wichtigsten Nebenflüsse z. B. dem Neckar, Vorposten die in manchen Fällen nur per Schiff erreicht werden konnten. In solchen Schiffsländeburgi konnten mehrere Lusorien stationiert werden. Die römischen Schiffsländeburgi belegen zweifelsfrei, dass auch die Nebenflüsse für Patrouillenfahrten und Transporte benutzt wurden.


Auf den Resten des am Leimbach gelegenen ehemaligen Burgus ist vermutlich die im Jahr 1262 erstmals urkundlich erwähnte Wasserburg gebaut worden, deren letzte Bewohner, das Geschlecht der Herren von Bolanden, im 14. Jahrhundert, der damals wütenden Pest zum Opfer gefallen sind. Solche Burgen lagen zu Verteidigungszwecken vorzugsweise an Fluss- oder Seeufern und waren in der Regel zusätzlich von Wassergräben umgeben, die vom Flusswasser gespeist wurden. Die Wasserburg ist ein Indiz dafür, das in der Nähe vermutlich schon in römischen Zeiten und auch später noch ein Nebenarm des Rheins, der alte Ostrhein vorbeifloss. Viele mittelalterliche Wasserburgen wurden auf den Resten alter römischer Burgi gebaut. Die Römer waren schon immer für ihre strategisch gut gewählten Standorte am Rande von Wasserläufen bekannt. Die Sandhausener Burg wird 1262 urkundlich erwähnt, als ein Otto von Bruchsal verheiratet mit Kunigunde von Bolanden, die Burg und das davor gelegene Dorf Sandhausen an die Kurpfalz übergab. Die Burg lag unterhalb der jetzigen Bahnhofstraße, in etwa am Ende der Burgstraße. Der heutige Leimbach fließt nur ca. 500 m an der Burgstraße vorbei. Noch 1476 wurde das Gelände dort als Burgstadel bezeichnet, d.h. die Stelle an der eine Burg oder Burgruine stand. Der Burgus bei Sandhausen war vermutlich auch ein Schiffsländeburgus, da der Ostrhein dort vorbeifloss und zu überwachende Römerstraßen zu weit östlich bzw. westlich verliefen.


Nicht weit vom Fluss lag westlich von Sandhausen die heute nicht mehr existierende Siedlung Lochheim. Auch in Lochheim wurde eine Burg nachgewiesen, bei der es sich vermutlich ebenfalls um eine Wasserburg gehandelt hat, da Wassergräben vorhanden waren. Am Fuß der nordwestlich von Sandhausen liegenden Düne, im Naturschutzgebiet "Pflege Schönau-Galgenbuckel", informiert eine Tafel über die ehemalige Siedlung Lochheim. Vielleicht hat der unbekannte Verfasser des Nibelungenliedes mit der berühmten Strophe "Er sancte in da ze Loche allen in den Rin", übersetzt: Er senkte in da zu Lochheim allen in den Rhein, dieses Lochheim gemeint.

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